KI und Facharbeiten – Ein Leitfaden für den Unterricht

Manuel Flick, Philipp Sölken & Niels Winkelmann


22. Januar 2025

Einleitung

Facharbeiten gelten in vielen Schulformen als zentrales Instrument, um Schüler:innen an wissenschaftliches Arbeiten heranzuführen. Doch seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 befindet sich dieses Format in einer erheblichen Umbruchphase.

Generative KI-Tools sind in der Lage, Forschungsfragen zu entwickeln, Gliederungen zu erstellen als auch vollständige Texte zu verfassen, was eine eindeutige Zuordnung zur Eigenleistung von Schüler:innen erschwert. Zeitgleich eröffnen sich durch den KI-Einsatz neue Möglichkeiten und Potenziale für Facharbeiten, insbesondere wenn KI gezielt und reflektiert eingesetzt wird.

Im schulischen Kontext stehen Lehrkräfte und Bildungseinrichtungen damit vor grundlegenden Fragen zur Rolle der KI hinsichtlich der wissenschaftlichen Recherche, des wissenschaftlichen Schreibens und letztlich hinsichtlich der Bewertung von Facharbeiten, bei denen KI zum Einsatz kommt. 

Daher haben wir uns als Arbeitsgruppe ausgehend vom ThinkTank „Lehren und Lernen im Kontext von künstlicher Intelligenz“ des VK:KIWA mit der Erstellung dieses Leitfadens befasst. Mit dem Leitfaden wollen wir Lehrkräften eine Orientierung bieten, um KI bei Facharbeiten sinnvoll, zielgerichtet und reflektiert mit den Schüler:innen einzusetzen – von der Themensuche über Recherche und Textproduktion bis zur Überarbeitung und Reflexion.
 

Im Folgenden werden zunächst der Hintergrund und die Ziele dieses Leitfadens erläutert, gefolgt von einer kurzen Beschreibung des Inhalts, den entsprechenden Veröffentlichungshinweisen sowie der Möglichkeit, den Leitfaden herunterzuladen.

Unser KI-Leitfaden für Facharbeiten im Fokus

Hintergrund und Ausrichtung

Seit der Einführung von ChatGPT Ende 2022 sind verschiedene Handreichungen zum KI-basierten Schreiben veröffentlicht worden, die Herausforderungen und Potenziale des KI-Einsatzes aufzeigen und Empfehlungen zur Dokumentation und Zitation KI-generierter Inhalte geben.

Unser KI-Leitfaden für Facharbeiten knüpft an diese Ansätze an, nimmt jedoch noch stärker den konkreten, schulpraktischen KI-Einsatz in den Fokus. Dabei wird der gesamte Prozess der Facharbeitserstellung betrachtet.

Analog zu den Forderungen für Universitäten, die Prof. Doris Wessels (2025) jüngst in der ZEIT aufstellte, plädieren wir ebenfalls für eine reflektierte Nutzung von KI, bei der die Schüler:innen offenlegen, mit welchen Tools sie in welcher Weise gearbeitet haben. Gleichzeitig bleiben Schüler:innen dabei in der Pflicht, KI-generierte Inhalte zu prüfen und Verantwortung für ihre Texte zu übernehmen.

Fokus auf Reflexion statt detaillierter Dokumentation

Unser Leitfaden unterscheidet sich gegenüber bestehenden Ansätzen insbesondere hinsichtlich der Dokumentationspflicht des KI-Einsatzes. Während andere Handreichungen meist auf eine möglichst detaillierte Dokumentation aller KI-Interaktionen setzen, zeigt sich dies in der schulischen Praxis aus mehreren Gründen als schwierig:

  • Unterschiedliche Ergebnisse trotz identischer Prompts: Bei erneuter Eingabe der in Facharbeiten dokumentierten Prompts liefern KI-Tools in der Regel abweichende Ergebnisse. Somit lässt sich der KI-Einsatz nicht eindeutig nachvollziehen oder nachweisen. Eine akribische Dokumentation liefert daher keinen verlässlichen Einblick in den realen Entstehungsprozess.
  • Zunehmende Komplexität des KI-Einsatzes: Der Schreibprozess umfasst häufig zahlreiche Iterationen, bei denen verschiedene KI-Tools gleichzeitig eingesetzt werden. Die KI-Ergebnisse sind zudem nicht einem einzigen Prompt zuzuordnen. Es wäre folglich eine aufwendige Dokumentation gesamter Gesprächsverläufe notwendig, was den Schreibfluss erheblich behindern würde. Einige KI-Tools werden zudem nicht rein promptbasiert gesteuert, was die Komplexität einer entsprechenden Dokumentation weiter erhöht.
  • Praktische Umsetzbarkeit: Eine akribische Dokumentation lenkt den Fokus schnell vom inhaltlichen Arbeiten ab. Statt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema zu fördern, entsteht eine umfangreiche, aber nur bedingt aussagekräftige Sammlung von KI-Interaktionen.


Aus diesen Gründen empfehlen wir in unserem Leitfaden, den KI-Einsatz kritisch zu reflektieren und den Erkenntnisgewinn, der sich aus dem Zusammenspiel von menschlicher Eigenleistung und KI-Unterstützung ergibt, in den Vordergrund zu stellen. Dies beinhaltet:

  • Exemplarische Dokumentation des KI-Einsatzes: Anstelle einer akribischen Protokollierung aller KI-Schritte wird eine exemplarische Darstellung des KI-Einsatzes in einem Reflexionskapitel empfohlen, die den gezielten und reflektierten Einsatz verdeutlicht, ohne dabei den fachlichen Arbeitsprozess unnötig zu belasten.
  • Reflexion in einem gesonderten Abschnitt: Ein eigenes Kapitel oder Unterkapitel innerhalb der Facharbeit, in dem Einsatzbereiche, Grenzen und Erkenntnisse zum KI-Einsatz erläutert werden (ergänzt durch eine Liste aller verwendeten KI-Tools im Anhang).


Diese Vorgehensweise soll dazu beitragen, dass Schüler:innen KI-Tools sinnvoll und reflektiert einsetzen, zugleich ein Bewusstsein für mögliche Fehlerquellen („Halluzinationen“) entwickeln und weiterhin ihre eigene wissenschaftliche Kompetenz stärken. Die schriftliche Reflexion des KI-Einsatzes muss sich folglich auch in der Bewertung von Facharbeiten wiederfinden.

Aufbau und Struktur des Leitfadens

Der Leitfaden gliedert sich davon ausgehend in die nachfolgenden Kapitel, entlang des gesamten Facharbeitsprozesses:

  1. Themenfindung und Gliederung: Wie KI-Tools beim Brainstorming und der Entwicklung einer Leitfrage unterstützen können.
  2.  Literaturrecherche und -organisation: Tools und Hinweise, um wissenschaftliche Texte KI-gestützt zu recherchieren und zu verwalten.
  3. Textproduktion: Hinweise zur Nutzung von KI für Ideenfindung, Formulierung und Strukturierung von Texten.
  4. Textkorrektur: Optimierung der sprachlichen Richtigkeit und sprachlichen Ausdrucks mithilfe von KI.
  5. Reflexion und Dokumentation: Schriftliche Reflexion des KI-Einsatzes als Alternative zu akribischer Dokumentation der KI-Nutzung.
  6. Vorschlag zur Umstrukturierung der Facharbeit: Einführung prozessbegleitender Elemente wie Konsultationen und Verteidigungen, um die Eigenleistung sichtbar zu machen und die wissenschaftliche Denkweise zu stärken.


Die Ausführungen lassen sich zudem auf weitere schriftliche Arbeiten wie Seminar-, Haus- oder Projektarbeiten übertragen, auch wenn nachfolgend vornehmlich von Facharbeiten gesprochen wird.

Mit dem Leitfaden arbeiten

Der Leitfaden steht nachfolgend unter Creative-Commons-Lizenz (CC-BY) zum Download bereit:

https://doi.org/10.5281/zenodo.14719317

Veröffentlichungshinweise

Der Leitfaden wird unter Creative-Commons-Lizenz (CC-BY) veröffentlicht und darf entsprechend verwendet, bearbeitet und weitergegeben werden, wir bitten in diesem Fall jedoch um Namensnennung.

Der Leitfaden samt zugehöriger Einordnung ist zeitgleich zudem auf dem Blog von Manuel Flick und Niels Winkelmann erschienen.

Feedback zum KI-Leitfaden

Noch ein Hinweis in eigener Sache: Wir erheben bei diesem Leitfaden keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sehen diese Erstveröffentlichung als Teil eines iterativen Prozesses. Der Leitfaden soll perspektivisch vertieft und weiterentwickelt werden. Aus diesem Grund freuen wir uns besonders auf Euer / Ihr Feedback, Anmerkungen, Hinweise und Kommentare. Die Rückmeldung kann über unser Online-Feedback-Formular anonymisiert erfolgen: https://forms.office.com/r/cVamMTBGRZ

Literaturverzeichnis

Wessels, D. (2025, 16. Januar). Die Position: Schluss mit absurden KI-Regeln! DIE ZEIT (13), S. 31.